KHZG, DIGAs, DIPAs und weitere Digitalisierungsvorhaben − Welche „MUSS-Kriterien“ stellt die Zukunft an deutsche Krankenhäuser?
Wir sprachen mit Menschen, die in unterschiedlichen Rollen mit dem Thema Digitalisierung im Krankenhaus zu tun haben. Sie bekleiden in den jeweiligen Häusern zentrale Anlaufstellen für Digitalisierungsprojekte, wie KHZG oder DIGAs. Die Interviews wurden einzeln geführt und hier als „Gespräch“ zusammengeführt. Die Teilnehmer sind Antje Brandner vom Universitätsklinikum Heidelberg und Christian Friedhoff von den Augusta-Kliniken in Bochum.
Im Interview richten Sie den Blick auf die eigene Organisation und wie diese sich verändert hat, um mit den Themen der Zukunft umgehen zu können. Und natürlich auch, wie in den Häusern auf Veränderungen (Change) reagiert und wie Akzeptanz dafür geschaffen wird. Die Interviews führte Dr. Erik Straub.
Das Gespräch folgt einzelnen Themenblöcken, die in einer dreiteiligen Artikelserie in unserem _hub veröffentlicht wird:
Teil1: Rollen, Prozesse und Managementkompetenzen (erschienen am 18.10.2021)
- Digitalisierungsstellen im Krankenhaus wirksam gestalten
- KHZG – ein positiver Impuls aus der Politik?
- Projektmanagement im Krankenhaus der Zukunft − ein MUSS-Kriterium!
Teil 2: Organisation & Entwicklung (erschienen am 3.11.2021)
- Das Krankenhaus als Organisation muss sich entwickeln, um wirksam zu werden!
- Nachhaltigkeit der Entwicklung ist keine Frage der Technik − Wir wollen digitalisieren und nicht elektrifizieren!
Teil 3: Finanzierung – DiGA und DiPA
- Wie kann die Zukunft der Krankenhäuser finanziert werden?
Teil 3: Finanzierung – DiGA und DiPA. Wie kann die Zukunft der Krankenhäuser finanziert werden?
Es ist zugegebenermaßen verlockend, noch weiter darüber zu reden, wie man diese Veränderungen begleitet, aber worüber ich natürlich auch noch mit ihnen sprechen möchte, ist das Thema „Geld“. Letztendlich bewegen wir uns ja bei allen Vorhaben auch in einem Rahmen, der finanzierbar sein muss. Herr Friedhoff hat schon anklingen lassen, dass der Betrieb nicht darstellbar ist. Nicht zuletzt dadurch, dass die DRGs keine Rücklagen für Investitionen zulassen. Frau Brandner sprach das Thema Ressourcen an. Auch hier treibt die Förderung seltsame Blüten, wenn aufseiten der Industrie den Kliniken jemand gegenüber sitzt, der vor 2 Monaten noch Klinikmitarbeiter war. Ich schau jetzt einmal Richtung Bochum: Herr Friedhoff, eine Idee, wie wir aus der Sackgasse herauskommen?
Friedhoff: Wir bekommen kein leistungsfähiges Gesundheitssystem, was bezahlbar wird, weil die Politik die Verantwortung nicht übernimmt, die dafür notwendigen strukturellen Voraussetzungen zu schaffen. Ich will mal so sagen: Es gibt quasi eine Verpflichtung des Landes, in ländlichen Regionen die Strukturen für die Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten. Heißt also, das Land wird irgendwann einspringen müssen, defizitäre Krankenhäuser zu retten. Das ist auch wichtig für die Menschen in dieser Region, damit eine vernünftige medizinische Versorgung sichergestellt ist.
Das ist sozusagen die Dystopie, auf die wir uns zubewegen, wenn vor allem kleinere Häuser die vom Gesetzgeber durch das KHZG gesetzten Hürden nicht nehmen. Gibt es Ihrer Meinung nach eine Alternative dazu?
Friedhoff: Zwar fordern viele Verbände, Politiker, Studien etc. einen Abbau von Hunderten von Krankenhäusern aus Kostengründen, aber was damit zwingend einher gehen muss wird nicht geschaffen. Zwingend notwendig wären dann ja „Notfallversorgungscenter“, gerade auch in ländlichen Regionen, die den Patienten zumindest ambulant adäquat behandeln und in einem Notfall soweit stabilisieren können, damit er in das nächste geeignete Krankenhaus überführt werden kann. Das ist jetzt stark vereinfacht dargestellt, aber diese Infrastruktur muss erst einmal geschaffen werden, damit auf Krankenhäuser verzichtet werden kann.
Da sind wir aktuell aber noch nicht. Was müsste passieren, um dorthin zu kommen bzw. wie überbrücken wir in der Zwischenzeit?
Friedhoff: Solange wir diese neue Gesundheitsinfrastruktur nicht beschlossen und umgesetzt haben, müssen die bestehenden Krankenhäuser vernünftig finanziert werden, damit sie die geforderte und benötigte Digitalisierung umsetzen können. Dies wäre z. B. über eine zusätzliche Digitalisierungspauschale möglich.
Sehen Sie denn die Gefahr oder das Potenzial, dass sich die Krankenhauslandschaft durch die Einführung digitaler Leistungen grundlegend verändern wird?
Friedhoff: Da gilt m. E. dasselbe wie für die KHZG-Maßnahmen. Also für große Verbünde lohnt sich das auf alle Fälle. Schwierig wird es für solitäre Häuser, so um die 300−400 Betten oder noch kleinere, die können das gar nicht bezahlen.
Frau Brandner Sie sind ein „großen Haus“, gibt es hier Bestrebungen mit digitalen Versorgungsangeboten?
Brandner: Die Phellow7-App ist ja eine Entwicklung aus der Klinik, die dann ausgegründet wurde. Seit 2 Jahren können Patienten dort ihre Daten einsehen. Das war der initiale Use Case. Was wir auch damit abdecken. Das wird gerade in verschiedenen geförderten Projekten umgesetzt und jetzt auch pilotiert: dass sie Patient-Reported Outcomes über die Phellow7-App abgeben können. Use Case ist, der Patient nimmt an der Studie teil und gibt sein Feedback über Auswertungsbögen etc. in der App. Oder sie bekommen Wearables mit und dann kommen Überwachungsdaten über die Apple-Watch-App in die Klinik und die Ärzte können sie dann auswerten.
Und wird die Einführung telemedizinsicher Leistungen etwas am „Angebot“ verändern?
Brandner: Ja, aber sie brauchen dafür ein Breitbandnetzwerk, um Telekonsile machen zu können – dafür sind wir gar nicht gerüstet. Die Telematikinfrastruktur verhindert dies mehr als dass sie es begünstigt, immer wieder. Und so lange wir diese strukturellen Voraussetzungen nicht haben, können wir nicht dahin kommen, wo andere sind.
Zum Abschluss noch die Frage: Was wünschen Sie sich für Ihre Mitarbeiter durch die Digitalisierung?
Brandner: Den Mitarbeitern würde ich wünschen wollen, dass sie die Daten und Informationen, die sie für ihre Arbeit brauchen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der passenden Form und entsprechender Qualität vorfinden. Digitalisierung und ein gemeinsamer „Change“ kann hier viele Mehrwerte erzeugen.
Friedhoff: Also, ich würde jetzt Schlagworte nutzen: Transparenz ist ein solches Versprechen. Mein Versprechen ist es, durch die Digitalisierung mehr Zeit für den Patienten zu haben und wenn ich mehr Zeit für den Patienten habe, dann habe ich auch mehr Zeit für mich. Digitalisierung schafft Qualität und Digitalisierung schafft Transparenz. Das dient auch dem Bürger, weil der nämlich auf einer ganz anderen Wissensbasis entscheiden kann. Die Digitalisierung macht Qualität transparent und nach außen sichtbar.
Ich danke für Ihre Zeit und die offenen Gespräche!
Seit wir diese Interviews geführt haben, sind wieder einige Wochen ins Land gegangen. Und in der Zwischenzeit fanden weiter Gespräche mit Kliniken zum Thema digitale Leistungen und deren Abrechenbarkeit statt. Digitale Leistungen sind in der Lage, zur Finanzierung der Krankenhäuser beizutragen.
Einige Kliniken sind vermehrt darauf bedacht, ihre Wertschöpfungskette zu erweitern. Sei es durch Zukauf von ambulanten Zentren, sei es mit einer eigenen Rehaeinrichtung. Diese Erweiterung findet in Einzelfällen auch bereits digital statt. Durch Einführung von spezifischen telemedizinischen Leistungen, Verschreiben von Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) und Auskopplung von einzelnen digitalen Leistungen.
Was die digitale Erweiterung der Wertschöpfungskette angeht, so ergibt sich hier ein eher heterogenes Bild. Das Thema an sich ist noch nicht sehr verbreitet, was sicherlich an den derzeit drängenderen Themen, wie KHZG und Corona-Epidemie zu tun hat. Es gibt aber vor allem im Bereich der Privatkliniken Beispiele, wo bereits DIGAs erfolgreich im Einsatz sind bzw. man darüber nachdenkt, diese großflächig im eigenen Verbund auszurollen.
Die Tatsache, dass DiGAs nur ambulant verschrieben werden können, führt dazu, dass die Patienten stärker an die Haus- und Fachärzte gebunden werden. Auch dieser Entwicklung ist man sich teilweise bewusst und reagiert mit dem Aufbau von MVZ und ambulanten Kapazitäten vieler Orts.
Andere Kliniken sammeln gerade Erfahrungen mit digitalen Leistungen, und denken darüber nach, diese nachträglich auch als DiGA zu vermarkten. Hier spielt natürlich der jeweilige Use Case, die Fallzahlen und die Abrechenbarkeit der Leistung eine wichtige Rolle. Einige der Klinken gaben an, die KHZG-Vorhaben zu nutzen, um auf dieser Basis nach digitalen Leistungen zu “fahnden”. Wenn erkannt wird, dass es Sinn macht, eine Leistung auszulagern, dann wird in diesem Kontext eine neue digitale Leistungserbringung entstehen. Im Laufe der KHZG-Umsetzungen wird vermutlich jede Klinik den ein oder anderen Prozess entdecken, der sich gut dazu eignet, in einer eigenen digitalen Leistung ausgekoppelt zu werden.
Zwar denkt man bei digitalen Leistungen zunächst an die populäre DiGA, diese machen für Krankenhäuser aber nur bedingt Sinn. Eine DiGA-Entwicklung ist, als Medizinprodukt, teuer und langwierig. Verschrieben werden kann sie nur ambulant oder über das Entlassmanagement und die Vergütung ist vergleichsweise gering, verglichen mit dem Erlös, der dem DIGA-Hersteller zukommt.
Tatsächlich wurde auf Nachfrage vonseiten des Kostenträgers die Möglichkeit überhaupt verneint, DiGAs außerhalb des ambulanten Sektors zu verschreiben. Dies ist aber eindeutig falsch und gesetzlich geregelt. Alle Krankenhäuser sind über das Entlassmanagement dazu in der Lage! Jedoch lohnend wird die Investition einer Eigenentwicklung (mag im Einzelfall anders aussehen) erst, wenn man über einen Verbund von schätzungsweise 20 Häusern verfügt bzw. plant, die entwickelte DiGA selbst weiter zu vermarkten. Anders verhält es sich mit vergleichsweise leicht umzusetzenden telemedizinischen Leistungen. Hier spielt, wie bereits in den Interviews erwähnt, die Infrastruktur eine maßgebliche Rolle. Ist diese vorhanden, steht dem Aufbau nichts im Wege.
Für Akut-Krankenhäuser gelten andere Regeln als für Rehaeinrichtungen. Für letztere existiert ein eigenes DiGA-Verzeichnis und Rehaeinrichtungen können nicht ambulant im Entlassmanagement verschreiben, wie es die Akutkrankenhäuser können, dafür kommen mehrere Kostenträger bei der Abrechnung für sie in Frage und die Möglichkeit, Leistungen zu digitalisieren und als NUB auszulagern bzw. über vorhandenen DRGs abzurechnen.
Aktuell betrachten wir drei Modelle, wie man diese Form der Leitungserbringung vergüten kann:
- Man rechnet weiterhin die geltenden DRGs ab, erbringt aber innerhalb einige der Leistungen digital – Effizienzsteigerung bei gleicher Vergütung
- Digitale oder hybride Leistungserbringung und neue (für stationäre Einrichtung/vorgelagerte MVZ) Abrechnungsziffern werden geltend gemacht – Telemedizin, Ambulante Leistungen
- Klinik bietet eine eigene DiPA an und rechnet direkt mit den Kostenträgern ab – überregionaler Anbieter von digitalen Leistungen
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Fazit 3. Teil
MUSS-Kriterien: Finanzierung | Mit digitalen Leistungen Geld verdienen
Strukturelle Grundlagen schaffen – durch die Länder
- Einführung einer Digitalisierungspauschale
- Verpflichtung der Länder zur finanziellen Unterstützung von Krankenhäusern in ländlichen/strukturschwachen Gebieten
Eine Finanzierung über DiGA und DiPA ist denkbar und grundsätzlich auf zwei Wegen möglich: als Effizienzsteigerung und als Monetarisierung / Erweiterung der Wertschöpfungskette.
- Ganzheitliche Begleitung der Integration von DiGA und DiPA
Damit dieses erfolgreich sein kann, müssen relevante Prozesse identifiziert und priorisiert werden. Eine Optimierung dieser Prozesse sollte der Digitalisierung und Integration von digitalen Tools wie DiGA und DiPA vorangehen – also eine ganzheitliche Vorgehensweise gewählt werden.
- Aufbau von Digital Kompetenz
Sowohl Leistungserbringer als auch Patient:innen müssen über Einsatzmöglichkeiten, Vorteile, aber auch Kontraindikationen informiert und in der Anwendung der DiGA und DiPA geschult werden
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