IT – Infrastruktur oder strategisch relevant?

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Die Frage nach der strategischen Relevanz von IT lautet zugespitzt, ob IT einen Wettbewerbsvorteil generieren kann. Die Frage ist nicht neu und Nicholas Carr hat auch schon 2003 eine Antwort darauf gegeben: “IT doesn’t matter.” Etwas, das der Wettbewerb auch hat oder kurzfristig haben kann, kann keinen Wettbewerbsvorteil erbringen [1]. Und Standard-Software, die auf dem freien Markt verfügbar ist, kann der Wettbewerb kurzfristig haben – umso mehr, wenn sie aus der Cloud kommt und die Kosten mit der Nutzung skalieren, und damit die gravierendsten Nachteile einer on premise-Installation entfallen. Entsprechend rät Carr, IT als Commodity zu behandeln, das heißt vor allem Risiken und Kosten zu minimieren.

Das kann man natürlich auch als Aufforderung verstehen, statt IT-Commodity Individuallösungen einzusetzen, oder zumindest beim den individuellen Anpassungen in die Vollen zu gehen, um besser zu sein als die Konkurrenz. Und das passiert natürlich auch tagtäglich – insbesondere, wenn die Anforderungen von Personen definiert werden, die keine Verantwortung für Kosten oder Wartbarkeit tragen. Dinge anders zu machen ist aber kein Selbstzweck. Die Frage ist letztlich, ob der letzte Schnörkel selbst an einer geschäftskritischen Anwendung wie einem CRM oder einem ERP wirklich dazu führt, dass man etwas deutlich besser oder billiger machen kann als die Konkurrenz – in der Strategieterminologie: einen Kosten- oder Differenzierungsvorteil erzielt – und ob dieser die höheren Kosten (und oft Komplexität und Risiken!) wirklich wert ist.

Natürlich gibt es proprietäre Technologien, die zentral für das Geschäftsmodell eines Unternehmens sind, ob bei etablierten Giganten wie Google oder auf Tech-Start-Ups wie Jobspotting. Das gilt aber nicht unbedingt für alle Technologieunternehmen – bei Facebook z.B. generieren die Netzwerkeffekte in der Nutzerschaft wohl den zentralen Wettbewerbsvorteil (d.h. man wechselt nicht zu Google+ oder Ello, weil alle Freunde und Bekannte ja bei Facebook sind), ggf. zusammen mit der abhängigkeitserzeugenden User Experience, die viele in jeder freien Sekunde reflexartig zum Smartphone greifen lässt.

Für die meisten Firmen aber gilt: Die IT ist nur eine Komponente komplexer organisatorischer Fähigkeiten. Es ist offenkundig übertrieben, zu behaupten, IT wäre (strategisch) irrelevant, aber im Regelfall sind Investitionen in IT nur das Startgeld. Über den Sieg entscheiden sie nicht. Das heißt aber umso mehr, dass man genau hinschauen muss und ernsthaft IT-Strategie betreiben [2].

Die Behauptung, dass der Wettbewerb immer härter werde, verpflichtet ja inzwischen – schon in den 90ern war ja von „Hypercompetition“ die Rede – zu einem Einwurf ins Phrasenschwein. Inwiefern das wirklich stimmt, ist je nach Branche durchaus unterschiedlich, und entsprechend muss sich auch die Strategiemethodik unterscheiden – aber das ist Thema genug für einen eigenen Post. Unser hier beschriebener Ansatz für IT-Strategie z.B. ist insbesondere relevant für große Organisationen mit gewachsener Komplexität in Technik und Organisation in reifen Märkten.

Trotzdem ist klar, dass Wettbewerbsvorteile i.d.R. nur temporär sind, weil die Konkurrenz nachzieht oder weil irgendwann das ganze Produkt oder die ganze Leistung sich überlebt haben (welchen Vorteil stiftet umfassendes Wissen über das Pferdedroschkengeschäft außerhalb von Touristenattraktionen?). Die Strategieliteratur hat das spätestens mit Rita Gunther McGrath anerkannt und Innovationen als Quelle zumindest temporärer Wettbewerbsvorteile in den Fokus gerückt. Mit einem innovativen Prozess, Produkt, Service oder Geschäftsmodell kann man wenigstens eine Zeitlang die Konkurrenz ausstechen.

Was heißt das für die IT?

Ob die IT einen strategischen Wettbewerbsvor- oder Nachteil erzeugt, hängt weniger von einer bestimmten Anwendung oder Funktion ab, sondern viel mehr davon, wie die Architektur, die IT-Organisation und die Integration der IT ins Unternehmen die Gesamtorganisation dabei unterstützen, Verbesserungspotenziale zu erkennen, Lösungsideen zu entwickeln, zu pilotieren und auszurollen. Und wieder einzustellen.

Und konkret (ohne Anspruch auf auch nur annähernde Vollständigkeit, diese Fragen bieten Stoff für einige Posts…):

  • Architektur: Konfigurierbare Plattformen statt hartverdrahteter Funktionen. Eine Serviceorientierte Architektur (SOA) statt monolithischer Host-Applikationen. Virtualisierung. Ich weiß, das klingt alles bekannt, aber es gibt sie noch in großer Zahl, die Legacy Systeme. In der Tat muss man wiederum genau hinschauen, wie Kosten und Nutzen einer Ablösung sich verhalten. Schwierig dabei ist, dass der Nutzen der höheren Innovationsfähigkeit sich schlecht vorab in Euro bemessen lässt, während die Kosten, insbesondere bei Core-Systemen, schnell sehr hoch werden. Ein gutes Argument für eine iterative Vorgehensweise, bei der nicht nur die Technik, sondern möglichst auch der Business Case vorab prototypisch geprüft wird.
  • Organisation: Agile Umsetzung statt umfangreicher Vorab-Konzeption. Kontinuierliches Deployment kleiner Pakete von Changes statt monatelanger Releasezyklen. Auch das klingt plausibel, ist aber in der Praxis nicht so einfach, wenn z.B. eine Website mit dem Backend auf Basis von Standardsoftware integriert ist, deren Hersteller deutlich behäbiger agiert.

Gut gemachte IT ist das Werkzeug, um immer neue strategische Vorteile zu schnitzen, zu erproben und die besten auszubauen und zu behalten. IT kann das Handwerkzeug für stetige und haltbare Innovation im Unternehmen sein, denn IT kann die Mittel liefern, auf Basis der wissenschaftlichen Methode Innovationen und Strategieoptionen zu vertesten. Auf das die besten Ideen und Strategien das Unternehmen nachweislich voranbringen. (Mehr dazu in einem der nächsten Posts.)


 

[1] Das wettbewerbliche und damit das Rendite-Potenzial einer Ressource oder Fähigkeit kann man z.B. anhand des VRIO-Schemas abschätzen: Ist die Fähigkeit oder Ressource valuable (d.h. für den Kunden interessant oder hilfreich im Ringen mit der Konkurrenz), rare (selten), inimitable (d.h. kann sie leicht nachgeahmt oder ersetzt werden?) und ist die Organisation richtig organisiert, um diesen Vorteil auch zu nutzen?

[2] Eine weitere Frage zur Beurteilung der strategischen Relevanz ist, ob die jeweils unterstützten Fähigkeiten den Primär- oder Supportprozessen der Organisation zuzurechnen sind.

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