Welche Chancen bieten digitale Gesundheitsanwendungen und wie kommen sie im Versorgungsalltag bei Patienten und Ärzten auch tatsächlich an? Wie werden elektronische Gesundheitsakten und ein digital gestalteter Kundenservice den Bedürfnissen von Versicherten wirklich gerecht? Über diese und viele weitere Fragen rund um die Chancen der Digitalisierung des Gesundheitswesens diskutierten Fachleute und zahlreiche Gäste bei der offiziellen Eröffnung der neuen Büroräume der _fbeta GmbH in Berlin-Schöneberg.
„Startups denken konsequent aus der Nutzerperspektive“
In ihrer Begrüßung zeigten sich Karsten Knöppler und Christian Fink von der _fbeta-Geschäftsführung überzeugt davon, dass die Digitalisierung die Grenzen zwischen den verschiedenen Bereichen im Gesundheitswesen aufbrechen könne. „Startups denken konsequent aus der Nutzerperspektive. Einer App sind Sektorengrenzen egal!“ Gleiches gelte für die Serviceangebote von Krankenkassen und Leistungserbringern. „Kunden haben heute kein Verständnis mehr dafür, wenn sie nur mit Papier und Post ihre Wünsche äußern können.“ An einer konsequenten Digitalisierung der eigenen Geschäftsprozesse und einer damit verbundenen Reorganisation der internen Arbeitsabläufe führe auch im Gesundheitswesen kein Weg mehr vorbei, betonten Karsten Knöppler und Christian Fink, die gemeinsam mit Dr. Florian Hartge und Dr. Kai-Uwe Morgenstern die _fbeta-Geschäftsführung bilden. „Die Digitalisierung ist längst Gegenwart.“
Engagierte Diskussionen auf dem Podium und in World-Cafés
Nach einem Impulsvortrag von Professor Dr. Peter Haas von der Fachhochschule Dortmund diskutierten im Anschluss Expertinnen und Experten über die Chancen der digitalen Transformation im Gesundheitswesen. Neben dem Medizininformatiker Haas (O-Ton: „Die angewandte Informatik ist eine Gestaltungs- und keine Technikwissenschaft, da sie ganze Ökosysteme und das Leben der Menschen umgestaltet“) nahmen Susanne Mauersberg vom vzbz – Verbraucherzentrale Bundesverband, Sebastian Gaiser von Johnson & Johnson, Michael Noll vom Digitalen Gesundheitsnetzwerk der AOK und Dr. Jens Schick vom Vorstand der Sana Kliniken AG an der Runde teil.
Persönlich einbringen konnten sich die Gäste schließlich bei vier World-Cafés (siehe Foto). Die thematische Palette reichte dabei von der elektronischen Gesundheitsakte über den Marktzugang von Medizin-Apps bis hin zu digitalen Möglichkeiten in der Pflege und beim Kundenservice. Als „Table-Captains“ agierten dabei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Geschäftsführer der _fbeta GmbH. Dass bei so viel Diskussionsfreude die letzten Gäste erst spät in der Nacht den Small Talk beim Flying Buffet beendeten, versteht sich von selbst.
Podiumsdiskussion: Fünf Köpfe, fünf Perspektiven
Michael Noll, AOK Baden-Württemberg, Projektleiter für das Digitale Gesundheitsnetzwerk des AOK-Systems:
„Wir brauchen eine E-Health-Strategie von der Politik, die ein klares Zielbild entwickelt, an dem sich dann alle Beteiligten auf Dauer orientieren können. Dazu gilt es einen verlässlichen regulatorischen Rahmen zu setzen und die Institutionen so umzugestalten, dass der Standardsetzungsprozess entpolitisiert wird und international etablierte Standards Vorrang haben. Damit hätten wir die Grundlage für einen echten Innovationswettbewerb um digitale Versorgungslösungen und nicht immer nur die resignierte Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.“
Dr. Jens Schick, Vorstandsmitglied der Sana Kliniken AG:
„Ich halte einheitliche Vorgaben für alle Anbieter von elektronischen Gesundheitsakten für zwingend erforderlich. Sonst finden sich am Ende Patienten und Ärzte nicht mehr zurecht. Darüber hinaus sollte es deutschlandweit einheitliche und praktikable Vorgaben zum Datenschutz geben. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern sind hier noch zu groß. Und brauchen wir finanzielle Anreize für Vorreiter bei der Digitalisierung. Heute knappsen die Kliniken das Geld dafür an anderer Stelle ab.“
Susanne Mauersberg, Referentin für Gesundheitspolitik beim vzbv – Verbraucherzentrale Bundesverband:
„Um die Patientenorientierung des Gesundheitswesens zu erhöhen, sind viele Schritte nötig. Eine digitale Akte nützt wenig, wenn sich die Abläufe dahinter nicht verbessern. Wir brauchen Erklärfilme und andere Formate, um Patienten an die neuen Möglichkeiten heranzuführen. Wie in Österreich sollte auch bei uns der Weg zur Akte über ein nationales Gesundheitsportal führen. Dann wüssten alle, wo sie gute Gesundheitsinformationen finden.“
Sebastian Gaiser, Leiter des Berliner Büros von Johnson & Johnson:
„Wir benötigen eine differenzierte Betrachtung digitaler Gesundheitsprodukte und Anwendungen hinsichtlich deren Nutzen und welche Evidenz erwartet wird. Wir brauchen eine Diskussion über einen denkbaren parallelen Zulassungs- und Vergütungsprozess. Idealerweise findet dazu ein Dialog zwischen dem Gemeinsamen Bundesausschuss, den Zulassungsbehörden und weiteren Institutionen statt. Zulassung und Evidenzbewertung der digitalen Technologien könnten dann von diesem Gremium in Kürze gemeinsam erfolgen.“
Professor Dr. Peter Haas, Medizininformatiker, Fachhochschule Dortmund:
„Wir müssen bei der Digitalisierung stärker auf den Nutzen und die Nutzbarkeit achten. Wir müssen die Menschen mehr mitnehmen, und zwar sowohl Patienten als aus Ärzte und Pflegekräfte. Und die Politik sollte für alle Akteure verbindliche Rahmenbedingungen schaffen, damit Investitionen und Wettbewerb möglich werden. So bleiben am Ende in einem evolutionären Prozess die besten Lösungen für die Menschen im Markt bestehen.“
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Fotograf: Joerg Frank