Evidenzbasierte Medizin im deutschen Gesundheitssystem: Zwischen Flexibilität und Konsistenz

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In einer Zeit, in der Innovationen in der Medizin schneller voranschreitet als je zuvor, steht das deutsche Gesundheitssystem vor einer entscheidenden Frage: Wie gehen wir mit der evidenzbasierten Medizin (EbM) um? Schlüsselspieler wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) stehen im Zentrum dieser Debatte. Ihre Entscheidungen wie medizinische Bewertungen, Entscheidungen zur Konkretisierung von Versorgungsinhalten wie bspw. Disease-Management-Programme (DMP) sowie zu den von der GKV zu finanzierende Leistungen erfolgt im rechtlichen Kontext des SGB V auf der Grundlage der evidenzbasierten Medizin (EbM). Die Bewertung vorliegender Evidenz wirkt sich somit unmittelbar auf Preisbildung, Erstattung und auch Versorgungssteuerung aus. Wie Evidenzanforderungen von G-BA und dem IQWiG gehandhabt werden, befindet sich im Wandel.

In der aktuellen Ausgabe von Monitor Versorgungsforschung betrachtet Hans-Holger Bleß (Partner fbeta) den zwischen streng bis flexibel schwankenden Umgang mit Evidenzanforderungen – und vermisst eine systematische Handhabung in besonderen Situationen. Der Artikel zeigt auf, warum ein transparenter Rahmen mit klaren Kriterien und Verfahren so entscheidend ist.

Was hat sich in der Praxis der EbM geändert?

Zu beobachtender Wandel in der Praxis der EbM: weg von der Nutzung der bestverfügbaren Evidenz, hin zu einer Konzentration auf die besterzielbare Evidenz.

Dies führt oft dazu, dass spezifische therapeutische Situationen nicht ausreichend berücksichtigt werden, insbesondere wenn die Forderung nach bestimmten Studientypen unverhältnismäßig erscheint. Das Fehlen klarer Richtlinien für den Umgang mit solchen Szenarien führt oft zu Entscheidungen, die als inkonsistent oder willkürlich wahrgenommen werden.

Dies ist besonders relevant angesichts neuer Herausforderungen in der Präzisionsmedizin und bei innovativen Behandlungen wie Gen- und Zelltherapien oder mRNA-Technologien.

Welche Auswirkungen hat dieser Umgang mit Evidenz auf das Gesundheitssystem?

Der inkonsistente Umgang mit Off-Label-Therapien oder die verzögerte Aufnahme neuer, biomarkerbasierter Tests bei Brustkrebs in den Leistungskatalog der GKV waren Beispiele, die die Wahrnehmung doppelter Standards befördert haben. Es entstand der Eindruck, dass wirtschaftliche Überlegungen über wissenschaftliche Evidenz gestellt wird. Der Anreiz, dass gute Evidenz  zur Erstattung führt, kann so nachhaltig beschädigt werden.

Die erfolgte Verschiebung des Fokus von bestverfügbarer zu besterzielbarer Evidenz führt dazu, dass die ursprüngliche Idee des Idee der EbM aus dem Auge verloren wurde, wodurch die Gefahr besteht, dass Innovationen nicht adäquat bewertet werden.

In Summe fehlen dem System Regeln für die in Einzelfällen durchaus vorhandene Flexibilität, um auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und sich ändernde Gesundheitsbedürfnisse transparent und vorhersehbar reagieren zu können.

Lösung?

Größere Flexibilität, Konsistenz und Transparenz! Um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden, ist ein transparenterer und flexiblerer Ansatz mit abgestuften Evidenzbewertungen, der das gesamte Spektrum der Evidenz berücksichtigt, zielführend: von dem eher starren EbM-Ansatz zu einem dynamischen anpassungsfähigen, Versorgungsnähe und individuelle Evidenzgenerierung umfassenden Modell. Dieser Ansatz hat das Potenzial, nicht nur die individuelle Patientenversorgung zu verbessern, sondern auch das Vertrauen in das Bewertungssystem zu stärken und zu einer besser angepassten Gesundheitsversorgung zu führen.

Ergänzt um die Möglichkeit, freier Verhandlungen auf der Grundlage vorliegender Evidenz und weiterer Faktoren können so zwischen den Verhandungspartnern für beide Seiten als angemessen wahrgenommene Erstattungsbeträge erzielt werden.

👀 Mehr Details? Hier finden Sie den vollständigen Artikel:

Erschienen in Monitor Versorgungsforschung (6/2023)

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