Eine Gleichung viele Variablen: DiGA + ePA + _ = Versorgung neu denken

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Gesundheit und Digital Health

Wie TSVG, DVG und PDSG ganz neue Perspektiven für die Gestaltung und das Management von Versorgung eröffnet haben – Was die neuen Handlungsspielräume sind und was noch fehlt. In dem beta_work mit Keynote von Sophia Matenaar, Bundesministerium für Gesundheit, Referat Grundsatzfragen eHealth, diskutierten Vertreter von Krankenkassen, Leistungserbringern und DiGA-Herstellern die neu entstandenen Optionen und offenen Handlungsfelder.

Der Umfang verfügbarer Gesundheitsdaten für das Versorgungsmanagement steigt durch die aktuelle Gesetzgebung (u. a. DVG, TSVG und PDSG) sprunghaft an. DiGAs und ePAs bringen die Versicherten auf den Plan und schaffen im Zusammenspiel mit vielen weiteren Veränderungen ganz neue Handlungsräume für die Akteure: Das gilt nicht nur für Kassen, die jetzt u. a. Daten aktiver nutzen können, sondern für Leistungserbringer und Unternehmen gleichermaßen.

DiGA + ePA + ___= Versorgung neu denken

Was kann eine DiGA in der Versorgung sein?

Mit dem DVG hat sich eine Weltneuheit im deutschen Gesundheitswesen etabliert: Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit digitalen Gesundheitsanwendungen. Folglich haben DiGA mit dem in der DiGA-Verordnung konzipierten Fast Track einen standardisierten Zugangsweg in die Regelversorgung bekommen und damit in die Erstattung durch alle gesetzlichen Krankenkassen.

Neue Verpflichtungen und Optionsräume der DiGA-Hersteller und IT-Dienstleister

Die so geschaffenen Optionsräume verändern die Versorgung. Denn das enorme Innovationspotenzial der DiGA basiert unter anderem darauf, dass sie in der Lage sind, Versorgungs- und Verwaltungsprozesse von Leistungserbringern und das Gesundheitshandeln der Versicherten zu integrieren. DiGA ergänzen, ersetzen und/ oder integrieren analoge Versorgungsleistungen. Dabei werden die vertragsärztlichen Leistungen im Zusammenhang mit der DiGA erstattet – ggf. sogar mit neu geschaffenen EBM-Ziffern. Und mit ihnen kommt das, was bisher eher selektivvertraglich verortet wurde, jetzt auch in der Regelversorgung: erfolgsabhängige Erstattungsanteile.

Wir haben in unserer Veranstaltung DiGA-Hersteller, Kassenvertreter und die IT-Industrie gefragt, wie sie die neu geschaffenen Optionsräume und Potenziale im Zusammenhang mit der DiGA nutzen (wollen) und welche Herausforderungen sie dabei sehen:

Diskussionspunkt: Ausweitung von erstattungsfähigen Dienstleistungen im Zusammenhang mit DiGA

Herausforderung: Digital-Health-Anwendungen, die Leistungsbestandteile von sonstigen Leistungserbringern und nicht zugelassenen Akteuren wie Coaches oder Fallmanager enthalten, haben häufig nennenswerte Versorgungseffekte und sind für viele Anwendungsszenarien sinnvoll. So wären integrierende Versorgungsansätze in der Regelversorgung realisierbar. Das ist heute aber im Fast Track noch nicht möglich.

Lösungsansatz: Erweiterung der erstattungsfähigen Komponenten einer DiGA auf Leistungen wie Coaching, Fallmanagement und Beratungsleistungen.

 

Diskussionspunkt: Unzureichende Unterstützung und fehlende Informationen für LE zu DiGA und anderen Versorgungsangeboten

Herausforderung: Die gesundheitliche Beratungstätigkeit der LE wird mit der Einführung von DiGA zunehmen, da Patient*innen eine kompetente Beratung auch bei der Auswahl der DiGA erwarten werden. Dabei stellt sich die Frage, wie sich Ärztin und Arzt über DiGA informieren sollen, um eine geeignete DiGA zu verordnen. Ohne die Bereitstellung adäquater Informationen sei das nicht leistbar. Dieses gelte auch für weitere Versorgungsangebote wie Präventionsleistungen und Selektivverträge.

Lösungsansatz: Ein standardisiertes Verzeichnis von Versorgungsinhalten (DiGA, Präventionsleistungen, Selektivverträgen etc.), das in Primärsysteme der Ärzte implementiert wird, kann hier Übersicht schaffen und die Informationen bereitstellen.

DiGA + ePA + __ = Versorgung neu denken

ePA und versorgungsrelevante Aspekte der Telematikinfrastruktur

Neben den DiGA hat der Gesetzgeber den Ausbau der TI und den der TI-Anwendungen in der laufenden Legislaturperiode stark vorangetrieben. Insbesondere die Ausbaustufen der ePA, die Einführung des eRezeptes und der TI-Anschluss weiterer Akteure standen im Fokus. Die ePA soll am 1. Januar 2021 kommen und ist aktuell Gegenstand öffentlicher Diskussionen.

Abbildung 1 (zum Vergrößern bitte Anklicken) zeigt die gesetzlichen Fristen für den TI-Anschluss, die Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und die Anwendungen der TI (ePA und eRezept). Fest steht, dass durch den Rollout der TI-Anwendungen ganz neue Handlungsräume für Versicherte, aber auch alle weiteren Akteure entstehen werden.

Im beta_work wurden die Auswirkungen der TI-Anwendungen und insbesondere die Potenziale der ePA für die Versorgung diskutiert:

Abbildung 1: Roadmap der TI-Anwendungen (eigene Darstellung) 

Diskussionspunkt: Potenziale der ePA

Herausforderung: Als problematisch wurde die Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Akteure und dem tatsächlich Leistungsspektrum und Interoperabilität der TI gesehen – bei einem gleichzeitig zunehmenden Druck, sich an die TI anzubinden. Andererseits wurde durch einen DiGA-Hersteller in diesem Zusammenhang geäußert, dass er sich auf die Verfügbarkeit einer ePA mit MIOs, elektronischem Medikationsplan und eRezept freue: Eine provisorische und ressourcenverbrauchende Eigenentwicklung von Infrastruktur könne so entfallen.

Lösungsansatz: Die Nutzerorientierung bei der weiteren Ausgestaltung der TI-Anwendungen sollte gestärkt werden, um die Akzeptanz und den Mehrwert weiter zu stärken.

 

Diskussionspunkt: Fehlende Einbindung der Telemedizin in die ePA

Herausforderung: Noch seien nicht die Grundlagen geschaffen worden, um kommerzielle Telemedizin-Anbieter in die ePA zu integrieren. Über die DiGA hinaus seien sie ein sinnvolles und wichtiges Mittel zur Versorgungsoptimierung.

Lösungsansatz: Die TI sollte als Anwendungsplattform für DiGA und Telemedizin gestaltet und weiter geöffnet werden: ePA-Schnittstellen sind die zentrale Voraussetzung, um die ePA als Anwendungsplattform zu etablieren.

Neben der Ausgestaltung der neuen Versorgungsbausteine DiGA und ePA waren die Rollen von Leistungserbringer und Kassen in der Versorgung Gegenstand der Gesetzgebung der laufenden Legislaturperiode.

 

Neue Verpflichtungen und Optionsräume der Kassen

Durch den Rollout der ePA haben Versicherte eine Vielzahl neuer Ansprüche, denen die Leistungserbringer gerecht werden müssen. Zudem werden sie durch Honorarkürzungen und finanzielle Anreize dazu bewegt, sich an die TI anzuschließen und die TI-Anwendungen in der Praxis anzuwenden.

Für die Kassen ergeben sich durch die Gesetzesinitiativen völlig neue Möglichkeiten, Versorgung anzubieten und zu gestalten. Eine Stärkung ihrer Rolle in der Versorgung erfahren Kassen im Wesentlichen durch vier Optionen:

  1. Förderung von Versorgungsinnovationen: Kassen können seit dem DVG fachlich-inhaltliche Kooperationen mit DiGA-Herstellern, Telemedizinanbietern oder sonstigen Anbieter von IT-gestützten Verfahren eingehen oder Anteile erwerben.
  2. Gezielte Angebote von Versorgungsleistungen/-innovationen: Kassen können ihren Versicherten gezielte und individuelle Angebote zu Versorgungsinnovationen oder -Leistungen machen.
  3. Besondere Versorgung ohne ärztliche Beteiligung: Die Vorgabe, dass Verträge nach §140a zur besonderen Versorgung nur mit ärztlicher Beteiligung abzuschließen sind, wurde mit dem DVG abgeschafft. Nun können Kassen Selektivverträge mit bspw. DiGA-Herstellern eingehen ohne eine ärztliche Beteiligung.
  4. Erweiterte Auswertung von Sozialdaten: Um den Bedarf an Versorgungsinnovationen zu evaluieren und Angebote von Versorgungsleistungen vorzubereiten, dürfen Kassen Sozialdaten auswerten.

Die gestärkte Kassenrolle in der Versorgung wurde in dem Workshop diskutiert:

Diskussionspunkt: Ungleiche Risikoverteilung bei der technischen Implementierung von Versorgungsmodellen in Primärsystemen

Herausforderung: Das finanzielle Risiko der Integration von Selektivverträge in die Primärsysteme ist ungleich verteilt: Zurzeit tragen die Kassen allein das Risiko und das macht die Umsetzung gerade für kleine und mittlere Verträge schwierig. Es stellt eine wesentliche Markteintrittsbarriere da.

Lösungsansatz: Alternatives Geschäftsmodell für Primärsystemhersteller, damit die Risikoverteilung Kassen nicht ungleich belastet und Anreize für Kassen geschaffen werden, Selektivverträge verstärkt anzubieten.

 

Diskussionspunkt: Unklare Qualität der Abrechnungsdaten

Herausforderung: „Liefern die Abrechnungsdaten tatsächlich verlässliche medizinische Informationen?“ Diese Frage wurde sowohl vonseiten der DiGA-Hersteller als auch Kassen gestellt. Die Praxis zeige, dass hier Unstimmigkeiten bei der Diagnosestellungen aufträten, die die nun erweiterten Beratungsrechte nach § 69, in ihrer patientengerechten Umsetzung einschränkten. Darüber hinaus wurden das lange Übermittlungsintervall für ambulante Abrechnungsdaten von neun Monaten kritisch betrachtet: Eine aktuelle und zielführende Beratung, vor allem zu Innovationen (!) sei so nicht überzeugend leistbar. Auch der Genehmigungsprozess von DiGA durch Kassen würde so verzögert.

Lösungsansatz: Eine Datenerstmeldung über das KIM, insbesondere zu Diagnosen, würde hier Abhilfe schaffen. So wäre die Verzögerung für das DiGA-System nicht relevant.

 

Was bedeutet das in Summe für das Versorgungsmanagement in der GKV?

Status quo ist, es gibt durch die bestehende sektorale Trennung wenig abgestimmte Versorgungsprozesse. Es sind weder übergreifende Prozesse noch ein übergreifendes Management dieser Prozesse sichtbar (ausgenommen: Selektivverträge; aber auch hier ist die Dokumentation nicht sektorenübergreifend).

Mit dem TSVG, DVG und PDSG werden nun ganz neue Perspektiven für die Gestaltung und die Steuerung von Versorgung eröffnet. Ein denkbares Zielbild (Abbildung 2; zum Vergrößern bitte Anklicken) könnte dann so aussehen: DiGA bildet eine Klammer über das Prozessgeschehen – genau das sind die vom Gesetzgeber intendierten patientenrelevanten Struktur- und Verfahrensverbesserung (pSVV). Im Zusammenspiel mit der ePA liegt hier das Potenzial: Prozesssteuerung über die DiGA und zentrale Dokumentation durch die ePA.

Abbildung 2: DiGA & ePA im Zusammenspiel in Kollektiv- und Selektivvertrag (eigene Darstellung) 

Ausblick

Ein erstrebenswertes und attraktives Zielbild – das war breiter Konsens unter den Teilnehmern des beta_work. Wie weit man noch vom Zielbild entfernt sei – das wurde ambivalent diskutiert.

Wie die nächsten Schritte auf dem Weg zum Zielbild konkret ausgestaltet sein können, werden wir in einem nachfolgenden Artikel detailliert beschreiben und gerne mit Ihnen diskutieren. Der Artikel erscheint zeitnah hier in unserem Magazin und wird auf unserer LinkedIn-Seite gepostet.

Lassen sie uns im Austausch bleiben!

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Foto: Joerg Frank

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