Koopetition bei Digitalisierung und digitaler Vernetzung in der Gesundheitsversorgung

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  • Die Verzahnung von digitaler Vernetzung und digitalen Gesundheitsanwendungen führt zu einer substanziellen Produktivitätssteigerung in der Gesundheitsversorgung.
  • Aktuelle Marktentwicklung und Gesetzgebung im Kontext von Digital Health und IT- und Telematikinfrastrukturen erhöhen den Druck auf die Akteure im Gesundheitswesen.
  • Alle Akteure sind gefragt, die Bereichen zu identifizieren, wo die Möglichkeiten für produktive Anwendungen liegen, wo eine eigene, wettbewerbliche IT-Umsetzung möglich ist und wo ein Erfolg mit Kooperation z. B. über IT-Plattformen beschleunigt wird.

 

„Wichtig ist, dass Akteure, die auf der Versorgungsebene im Wettbewerb miteinander stehen, auf der Ebene der Infrastruktur an einem Strang ziehen“, hatte Karsten Knöppler, Geschäftsführer von _fbeta, in seiner Einführung zum beta_meet „TI und Integrierte Versorgung 4.0: Wege zu einer neuen Symbiose von Wettbewerb und Kooperation für die digitale Vernetzung von Verwaltung und Versorgung“,  das am Mittwoch, 19.02.2020, stattfand, erklärt. Entscheidend für den Gesamterfolg sei es, diese Ebenen klar zu identifizieren und ein gemeinsames Verständnis darüber zu schaffen.

Substanzielle Produktivitätssteigerung in der Gesundheitsversorgung

Marktentwicklung und Gesetzgebung fördern die Digitalisierung und digitale Vernetzung im Gesundheitswesen. Damit wird sowohl eine Integration von Versorgung als auch von Verwaltungsprozessen der GKV mit dem Gesundheitshandeln der Bürger/Patienten möglich und darüber hinaus die digitale Erbringung von bisher analogen Leistungen und neuartigen digitalen Leistungen. Entscheidend ist jetzt die Frage, wie das in ganz konkreten Vernetzungs- und Digitalisierungsprojekten in der Praxis umgesetzt werden kann.

In seinem Impulsvortrag „Integrierte Versorgung 4.0: Regionales Versorgungsmanagement mit IT“ beleuchtete unser Digital-Health-Experte Dr. Jörg Caumanns, die unterschiedlichen Ebenen der Kooperation auf der technischen Ebene und die Angebotsausprägungen auf der Versorgungsebene.

Dabei hob er hervor, dass die fehlende Kooperation bei TI, ePA und Plattform, die ja keine Wettbewerbsfaktoren seien, zu bislang nur ernüchternden Ergebnissen geführt habe: „Wir fangen mit komplizierten Dingen an, haben nur rudimentäre Infrastrukturen – Basics wie z. B. ein Verzeichnis der Ärzte in Deutschland fehlen.“ Das führe dazu, dass in den einzelnen Digitalisierungsprojekten unnötig Gelder ausgegeben werden, ohne dass ein echter Fortschritt erreicht werde.

Besonders fatal, wenn man berücksichtigt, dass wir darüber hinaus in Deutschland lediglich Kreisklasse im internationalen Vergleich hinsichtlich der Manpower in IT-Projekten im Gesundheitsbereich spielten, wie Stefan Georgy, CDO, Klinikum Ernst von Bergmann, hervorhob.  

Technik allein ist kein Mehrwert

 „Die Telematikinfrastruktur liefert bisher die Möglichkeit für Kommunikation und Datenaustausch. Oberhalb der Technikebene ist da nix. Sie liefert keine Versorgung,“ so Caumanns. Diese oben draufzusetzen, liege in der gemeinsamen Verantwortung der Akteure. Zu Unrecht sieht er aber die ePA für fehlenden Funktionsumfang kritisiert: „Sie ist eine wunderbare Datenschubse. Das reicht.“ Entscheidend sei jetzt, die ePA als Schnittstelle ins Spiel zu bringen und die Versorgungsinhalte zu schaffen und zu vernetzen.

Hierbei spielt vor allem die Interoperabilität eine entscheidende Rolle, wie auch Stefan Schäfer, Marketing und Vertrieb gevko, betonte. Er sieht darüber hinaus, dass auch weiterhin ein großer Werkzeugkasten von Nöten sein werde.

Dr. Irmgard Landgraf, internistische Hausärztin, wollte nicht auf die TI warten und schuf daher eine eigene elektronische Pflegeakte. Die bei der medizinischen Betreuung dringend notwendige Kommunikation zwischen Ärztin und Pflegekräften kann sie darüber 24/7 digitalisiert anbieten und so eine sehr gute Versorgung der Patienten erreichen. „Wir schaffen eine Versorgung der Patienten, die nicht nur krankenhausvermeidend, sondern krankenhausersetzend ist – ohne ausgebrannt zu sein.“ Ihr Statement: “Eine gute ePA wäre ein wunderbarer Mehrwert.“ Den Einwand aus dem Publikum, sie sei mit ihrer Begeisterung für die ePA eine eher untypische Vertreterin ihres Berufsstandes, konterte sie mit den Worten: „Wir brauchen gute, überzeugende Projekte. Dann überzeugen wir Ärzte und Patienten.“

 

Wie wichtig das gemeinsame Wollen sei, unterstrich auch Marek Rydzewski, Leiter Versorgungsmanagement, AOK Nordost: „Wir benötigen die Akzeptanz; dabei hilft die Ausrichtung am Endkunden. Wenn wir es kompliziert machen, werden weder Patient noch die Leistungserbringer mitmachen.“

 

Neben der noch zu geringen Akzeptanz seien es auch oft die lediglich administrativen Zielsetzungen und juristische Vorgaben, die eine sinnvolle Entwicklung hemmen. So beklagt Stefan Georgy, dass Versorgungsqualität und Patientensicherheit zu selten im Fokus der IT-Projekte stünden. Zu oft seien es verwaltungstechnische Gründe, die die IT-Einführung anstoßen. Die Gesetzgebung im Bereich Datenschutz verhindere teilweise die Patientensicherheit, wenn ein multimorbider Patient nicht bestmöglich versorgt werden kann, weil vorliegende Daten aus vorherigen stationären Aufenthalten nicht einmal innerhalb der eigenen Klinikkette genutzt werden dürften.

 

Dass es vorrangig um die Versorgungsverbesserung gehen müsse, dass unterstrich auch Daniel Susenburger, Berater/Product Owner in Bereich Unternehmenssteuerung der AOK Baden-Württemberg in seiner Case Study zur eAU. Mut habe dazu gehört, sich zu trauen, Prozesse vollumfänglich zu digitalisieren und nicht nur eine papierbegleitende Variante zu schaffen. Dabei müsse darauf geachtet werden, alte Probleme nicht in die neue Welt zu übertragen. „Digitalisierung ist wie ein Laserschwert. Falsch eingesetzt, kann es auch gefährlich werden.“

Die Podiums- und Publikumsdiskussion, moderiert durch Dr. med. Thies Eggers, _fbeta, hat wieder deutlich gemacht, dass Innovationen in der Verwaltung und Versorgung mit und über die gesetzlichen Vorgaben hinaus nur über starke sektor- und akteursübergreifende Allianzen zur IT-Vernetzung möglich sein werden.

Hierbei ist – wie bei vielen Digitalisierungsprojekten – entscheidend, dass die beteiligten Akteure ein wechselseitiges Verständnis für die Herausforderungen, Zielsetzungen und Limitationen des jeweils anderen erlangen. Nur so kann es gelingen, gemeinsam die Vernetzung konstruktiv voranzutreiben und sich nicht durch Schuldzuweisungen für bisherige Versäumnisse und/oder Fehlentscheidungen gegenseitig auszubremsen.

In einem beta_work, das am 18. März 2020 ab 16 Uhr in unseren Räumen stattfindet,  möchten wir daher in Kooperation mit digisol-BB den Aufbau einer solchen regional organisierten Vernetzungsinfrastruktur am Beispiel der Region Berlin und Brandenburg exemplarisch mit interessierten Workshopteilnehmern durchdenken und Impulse für eine konkrete Umsetzung geben.

Wir wenden uns mit diesem beta_work an IT-Leiter und Entscheidungsträger in Kliniken, Kliniknetze, Ärztenetze, Krankenkassen, Verantwortliche in Politik und kommunaler Verwaltung sowie Start-ups, die sich IT-mäßig vernetzen wollen.

Bei Interesse melden Sie sich bitte auf Eventbrite an (Teilnehmerzahl max. 30).

 

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Fotos: Joerg Frank

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