Digitales DMP Diabetes: Wie Lebensstilveränderungen Prädiabetesfälle in Remission bringen können – und warum jetzt der Moment ist, Versorgung neu zu gestalten

icon

Mehr als 9 Millionen Menschen in Deutschland leben mit Typ-2-Diabetes. Weitere 32 000 Kinder und Jugendliche sowie 340 000 Erwachsene haben Typ-1-Diabetes. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von mindestens 2 Millionen Betroffen (Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2025). Neben den gesundheitlichen Herausforderungen bringt Diabetes erhebliche wirtschaftliche Belastungen mit sich: Die Gesetzlichen Krankenkassen gaben 2022 alleine für Antidiabetika rund 3,1 Milliarden Euro aus – fast 50 Prozent mehr als noch vier Jahre zuvor (Arzneimittel-Atlas des IGES-Instituts, statista 2024: Wie teuer ist Diabetes für die Krankenkassen?).

Präventionsmaßnahmen können hier neben den anzugehenden Verbesserungen in der Versorgung eine Schlüsselrolle spielen, um dem Kostenwachstum entgegenzuwirken. Eine internationale Studien von Prof. Dr. A. L. Birkenfeld zeigt, dass knapp ein Viertel der Prädiabetesfälle durch Lebensstiländerungen in Remission gehen können. Für diese Personen mit Prädiabetes-Remission in Verbindung mit einer Gewichtsabnahme von ≥ 7 Prozent konnte gezeigt werden, dass das Risiko für einen Diabetes mellitus über 6 Jahre um 76 Prozent (relatives Risiko) im Vergleich zur alleinigen Gewichtsabnahme von ≥ 7 Prozent reduziert war (Prädiabetes-Remission zur Vorbeugung von Typ-2-Diabetes • DGP; https://doi.org/10.1038/s41574-024-00996-8). Ein wichtiger medizinischer Ansatzpunkt und eine immense wirtschaftliche Chance für das Gesundheitssystem.

Mit der Einführung und Ausgestaltung des digitalen Disease-Management-Programms (dDMP) Diabetes könnte ein wichtiger Schritt zum Heben dieser Potenziale gemacht werden.

Das DigiG als Einladung zu einem Paradigmenwechsel in der Versorgung

Mit dem DigiG (§ 137f SGB V) hat der Gesetzgeber einen Rahmen für das digitale DMP Diabetes geschaffen, der bewusst auf starr vorgegebene Strukturen verzichtet. Es gibt zwar klare Eckpfeiler durch die Festlegung der Ziele: Verbesserung der Versorgungsprozesse, Steigerung der medizinischen Qualität und stärkere Personalisierung – aber innerhalb dieser wird viel Gestaltungsspielräume gegeben, um innovative mehrwertstiftende digitale bzw. hybride Versorgungsmodelle entwickeln können.

So kann die Entscheidung des Gesetzgebers, nicht eine Digitalisierung der klassischen Disease-Management-Programme zu fordern, sondern ein digitales neu zu auszugestalten, als explizite Aufforderung zum Denken in neuen, digitalen und hybriden Dimensionen verstanden werden.

Mehr als digitalisiert: Ein digitales (!) DMP Diabetes neu denken

Der Schlüssel zum Erfolg des dDMP Diabetes liegt darin, die Möglichkeiten der Digitalisierung in der strukturierten Behandlung konsequent und integriert zu nutzen. Das bedeutet:

  • Hybride Versorgungskonzepte: Ein digitales DMP sollte mehr sein als das digitale Add-on eines klassischen DMP. Digitale Bausteine also nicht nur ergänzen, sondern sie tief in die Versorgungsprozesse integrieren und mit den analogen Schritten verzahnen. So lassen sich Prozesse und die medizinische Qualität der Versorgung optimieren. Die entstehenden Mehrwerte für Leistungserbringer, Patient:innen und Krankenkassen lassen alle Beteiligten das digitale als etwas wirklich Neues erleben.  
  • Personalisierte Versorgung: Digitale Tools ermöglichen es, individuelle Therapiepläne auf Basis von Daten zu erstellen – abgestimmt auf den Lebensstil, die Krankheitsgeschichte und die Präferenzen der Patient:innen. Möglichkeiten der asynchronen, digital gestützten Kommunikation – z. B. über den TI-Messenger – erlauben es, raum- und zeitunabhängig auf die individuellen Belange eingehen zu können.
  • Prävention priorisieren und das Gesundheitshandeln der Patient:innen integrieren: Studien belegen die Wirksamkeit von Lebensstilinterventionen. Genau hier setzen die bereits im Verzeichnis des BfArM gelistete DiGA an: Anleitung, Empowerment, motivierende Begleitung und Monitoring der Maßnahmen inkl. der Möglichkeit zur Einbeziehungen erhobener Daten in den Behandlungsablauf.

Weitere Informationen: Abschlussbericht Teilprojekt „dDMP Diabetes“ im Projekt DiGA.Pro

Eine Richtungsentscheidung: Verwalten oder Gestalten? Regionale oder bundesweite Konzepte?

Nach der für Ende März vorgesehenen Veröffentlichung der Vorgaben des G-BA zu den Inhalten des digitalen DMP können zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen die Verhandlungen zu Verträgen über die konkrete regionale Umsetzung der dDMP Diabetes beginnen. Hier wird sich dann zeigen, welche der Chancen der Digitalisierung am Ende bei den Patient:innen ankommen.

Hierbei können und müssen sich alle Akteure positionieren: Bisher war das DMP vor allem von einer medizinischen, aus Leitlinien abgeleiteten Sichtweise geprägt und die Organisation der Umsetzung daran orientiert. Freiräume in Bezug auf patientenfreundliche Prozesse und Partizipation wie bei Selektivverträgen wurde wenig genutzt, obwohl sie bestanden. Mit dem dDMP weitet sich der Raum der Ausgestaltungsmöglichkeiten noch einmal erheblich. Gleichzeitig erleichtert die digitale Umsetzung Krankenkassen die sichtbare Positionierung über Versorgungsangebote und ermöglicht Synergien mit bestehende digitalen Angeboten.

Ob der erhebliche gesundheitsökonomische Mehrwert und auch die stärkere Positionierung der Krankenkassen erreicht wird, hängt mehr denn je von der Initiative der einzelnen Kassen ab. Diese Frage erfordert die Bildung von Allianzen mit neuen Organisationsmodellen – und auch Partnern – für die Umsetzung. Je nach dem, wie Kassen hier ihre Rolle definieren, können sich so am Ende auch neue Modelle im Zusammenspiel der Akteure Patient, Leistungserbringer und Kasse ergeben, die auch andere Akteure einbinden können. Hier wird sich dann (spätestens) auch zeigen, ob die bisherigen Verantwortlichkeits- und Organisationsstrukturen rund um DMP die mit der Digitalisierung einhergehenden neuen Möglichkeiten eher befördern oder behindern.

Fazit: Wir können beim kleinsten gemeinsamen Nenner landen – oder aber wir nutzen die sich bietende Chance und können jetzt alle gemeinsam mit der Ausgestaltung des dDMP Diabetes wirklich strukturbildendes Neues schaffen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ausgewählte Artikel

Welche Herausforderung möchten Sie meistern?

Lassen Sie uns sprechen!